Sajano-Schuschensker Stausee: zwischen Fortschritt und Wildnis

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Der Sajano-Schuschensker Stausee gilt oft als eines der ungewöhnlichsten Vorhaben der Sowjetzeit. Für die einen ist er ein Symbol technischen Fortschritts, für die anderen ein umstrittener Eingriff in die Natur. Doch das Schicksal dieses vielfach mit einem Meer in den Bergen verglichenen Gewässers erweist sich als deutlich vielschichtiger als ein simples Urteil nach dem Schema Nutzen oder Irrtum.

Ein Fluss, der sich seinen Weg selbst bahnte

Die weite Beckenform entstand dort, wo der Jenissei über Jahrhunderte Felsmassive durchsägte. Auf mehr als 300 Kilometern formte der Fluss einen schmalen, tiefen Lauf. Diese natürliche Engstelle machte einen leistungsstarken Damm überhaupt erst möglich: Ein von Bergen eingeengter Strom lässt sich leichter zur Energiegewinnung zähmen. Bis heute weitet sich der Fluss hier auf höchstens 6–9 Kilometer, und die steilen Ufer halten den immensen Wasserdruck in Schach.

Der lange Weg bis zur Flutung

Die Bauarbeiten am Damm begannen 1963, doch bis zur Fertigstellung vergingen fast vier Jahrzehnte – ausgebremst von komplexen technischen Herausforderungen und unerwarteten Problemen. Hohe Lasten führten zu Rissen, wasserbauliche Komponenten fielen aus, und Korrekturen mussten im laufenden Betrieb erfolgen. Mit der Befüllung des Stausees wurde erst 1978 begonnen, unmittelbar nach der Inbetriebnahme der ersten Einheit. Das Becken wurde nur unzureichend geräumt: Umfangreiche Uferbereinigungen galten als wirtschaftlich nicht vertretbar, und schweres Gerät konnte in den unzugänglichsten Abschnitten schlicht nicht arbeiten.

Tausende Bäume versanken. In den 1980er-Jahren tauchten sie wieder auf und bereiteten noch jahrelang Probleme. Fachleute schätzen, dass die letzten Stämme erst um 2030 an die Oberfläche kommen könnten.

Tiefen in Wolkenkratzer-Dimensionen

Die Sajano-Schuschenskaja-Talsperre ist mit 242 Metern die höchste in Russland. Hinter der Betonmauer stauen sich bis zu 31 Kubikkilometer Wasser, stellenweise reicht die Tiefe bis auf 220 Meter. Bei einem derartigen Druck ist kein Platz für Leichtsinn. 2009 forderte eine Tragödie das Leben von 75 Beschäftigten des Kraftwerks, die Wiederherstellung dauerte zehn Jahre. Kein Wunder, dass sich um den Damm Legenden ranken; Beschäftigte berichten bisweilen, nachts glaubten sie, Echos der Vergangenheit zu hören.

Die Klarheit eines nie zufrierenden Meeres

Trotz seiner Ausmaße ist das Wasser hier bemerkenswert klar. Der Jenissei speist es mit sauberem Bergwasser, und die lokalen Böden sind seit Langem ausgewaschen. Der Grund ist steinig und weitgehend schlammfrei – ein Grund, warum die Transparenz auch in großen Tiefen erhalten bleibt. Daher gilt der Stausee als strategische Süßwasserreserve, die bei Bedarf weite Gebiete versorgen soll.

Ein Schutzgebiet, das der Wildnis eine Chance geben sollte

1976, noch vor der Flutung des Tals, wurde das Naturschutzgebiet Sajano-Schuschenski eingerichtet, um der Tierwelt die Anpassung an den Umbruch zu erleichtern. Zuerst fanden sich Wölfe zurecht, dann Huftiere, später auch Vögel. In der Region kommen seltene Arten vor, darunter der Schneeleopard. Für das Gebirge wurde es zu einem wichtigen Beispiel dafür, wie sich Ökosysteme an ein Großvorhaben anpassen können – und zu einer Erinnerung daran, dass Widerstandskraft sich oft erst Schritt für Schritt zeigt.

Logistik, die keine Fehler verzeiht

Zum Damm zu gelangen, ist alles andere als einfach. Es gibt nur wenige brauchbare Straßen, und die nächste Siedlung, das Dorf Tscherjomuschki, liegt in einem engen Tal. Steile Ufer, starke Gefälle und kaum ebene Flächen setzen enge Grenzen. Als praktikable Lösung etablierten sich schwimmende Hotels: Im Sommer arbeiten sie auf dem Wasser, im Winter werden sie in Richtung des eisfreien Zentrums des Stausees verlegt, damit das Ufer-Eis ihre Rümpfe nicht zerdrückt.

Wie sich das Leben unter Wasser veränderte

Unter Wasser veränderte sich vieles spürbar. Einst dominierten hier Taimen, Lenok und Äschen; nach der Aufstauung gingen ihre Bestände stark zurück, im 21. Jahrhundert erholten sie sich teilweise. Anspruchslosere Arten wie Barsch, Hecht und Brasse nutzten hingegen den gewonnenen Raum. 2006 wurde der Stausee in die föderale Liste der Fischereigewässer aufgenommen. Der Wandel verschob das Nahrungsnetz, löschte es aber nicht aus – ein Hinweis darauf, wie sich das System in ein neues Gleichgewicht einpendelte.