18:25 24-11-2025
Tiefste Schlucht der Welt: der Yarlung-Tsangpo-Canyon
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Entdecke den Yarlung-Tsangpo-Canyon: die tiefste Schlucht der Erde im Himalaya. Wie der Brahmaputra durch Tibet brach und heilige Wasserfälle formte.
Jahrhundertelang zögerten die Tibeter, Außenstehende in eines der abgeschiedensten Täler der Welt zu lassen. Hier, zwischen den höchsten Gebirgszügen des Planeten, bahnte sich ein Fluss, den man später als Everest unter den Flüssen beschrieb, seinen Weg durch den Himalaya und fräste einen kolossalen Einschnitt ins Gestein – den Yarlung-Tsangpo-Canyon.
Der Zugang ist bis heute begrenzt, doch eines steht fest: Entlang des Randes der Tibetischen Hochebene liegt die tiefste Schlucht der Erde. Man spürt den Fluss hier als stillen Hauptdarsteller der Landschaft.
Heiliger Fluss des Oberen Tals
Der Name Yarlung Tsangpo mag ungewohnt klingen, verrät aber viel: Reiner Fluss des Oberen Tals oder Fluss, der vom Himmel herabströmt. Es ist der Oberlauf des Brahmaputra, eines der großen Ströme Südasiens. Er entspringt in fast fünftausend Metern Höhe, wo zwei eisige Bäche zu einem zusammenfließen. Von dort zieht er an der Nordflanke des Himalaya entlang, sammelt Schmelzwasser, Sommerregen und feinen Felsschliff – eine natürliche Schleifpaste, die später Bedeutung gewinnt.
Kampf mit den Bergen
Über weite Strecken fließt der Brahmaputra parallel zum Himalaya, bis er an eine Wand stößt, die bis zu siebentausend Meter aufragt. Die Wahl ist eindeutig: außen herum oder hindurch. Der Fluss entscheidet sich für Letzteres. Wie ein Rammbock bricht er durch das Massiv, öffnet enge Tore – hier nimmt der rekordträchtige Canyon Gestalt an. Das Wasser vollzieht einen scharfen Bogen um den Namcha Barwa; diese Krümmung ist als Große Biegung des Yarlung Tsangpo bekannt.
Eine Schlucht tiefer als alle anderen
Der Canyon zieht sich über mehr als 500 Kilometer. Mancherorts steigen seine Wände fast sechs Kilometer über den Fluss auf. Die mittlere Tiefe liegt darunter, doch die Dimensionen bleiben schwer zu fassen.
Die Höhenlage des Talbodens variiert von etwa 2.900 bis 600 Metern, und in einigen Abschnitten stürzt der Fluss in rascher Kaskade ab. Kaum verwunderlich, dass Kajakfahrer, die in den 1990er-Jahren erstmals Genehmigungen erhielten, erschüttert zurückkehrten. Die erste Expedition, bei der jedes Mitglied lebend heimkam, gelang 2002.
Warum der Fluss die Berge überwand
Wissenschaftler nennen mehrere Gründe für den Erfolg des Brahmaputra.
- Erstens führt der Fluss schon nahe seiner Quelle gewaltige Wassermengen.
- Zweitens transportierte er über Millionen Jahre Sand und Steinstaub, die das Gestein wie Schleifpapier abtrugen.
- Drittens half das Klima mit: Wasser drang in Risse, fror und sprengte den Fels.
Vor allem aber lief der Prozess ohne Eile. Während sich der Himalaya hob, schnitt der Fluss weiter – und ließ neu entstehenden Fels seine Route nicht verschließen.
Ein gehütetes Land
Die Menschen vor Ort betrachten diesen Ort seit Langem als heilig – besonders zwei Wasserfälle, Rainbow (21 m) und Hidden Falls (30 m). Sie hielten sie so gut wie möglich verborgen, und das nicht ohne Grund: Gerade unzugängliches Gelände zieht starke Aufmerksamkeit auf sich. Heute erwägt China das Gebiet des Canyons für ein großes Wasserkraftprojekt. Berichten zufolge haben bereits Vorarbeiten begonnen. Wie sich diese Geschichte entwickelt, bleibt offen.
Canyon oder Schlucht: Wo liegt der Unterschied
Darüber diskutieren Geologen seit Jahren.
Eine Definition sagt, ein Canyon sei ein Tal, das fast vollständig von einem Fluss eingenommen wird; eine Schlucht ist breiter und lässt Platz für Fluss, Straße, sogar ein Dorf. Eine andere Definition betont die Wände: Canyon-Seiten sollten nahezu senkrecht sein. Nach diesem Maßstab behält der Grand Canyon die Krone. In der reinen Tiefe jedoch lässt der Yarlung Tsangpo ihn weit hinter sich.
Der Fluss, wo alles beginnt
Hoch in Tibet beginnt der Yarlung Tsangpo als kleine Eiszunge. Bis er zum Brahmaputra wird, hat er eine Passage gegraben, die tiefer reicht als jedes andere Tal der Erde. Für die Gemeinden entlang seines Laufs steht der Fluss seit Langem dafür, dass selbst die härtesten Barrieren der Ausdauer weichen – und dass dort, wo ein Riss entsteht, das Leben seinen Weg findet.